Am Würzburger Hauptbahnhof gibt es eine unscheinbare Wandermarkierung. Schwarz auf weißem Grund steht „WH“, wie Würzburger Haus.
Als ordentlicher Rhöner kann ich mir das Würzburger Haus sehr gut vorstellen. In den schwarzen Bergen liegt es, mitten auf einer wunderschönen Blumenwiese. Die Tische und Bänke auf dieser Wiese laden zu einer deftigen Brotzeit mit Kreuzbergbier ein.
Den WH-Weg vom Würzburger Hauptbahnhof bis zum Würzburger Haus in der Rhön widerum kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Also bin ich am Freitag nach der Arbeit losgelaufen um das zu ändern (-;
Diese Geschichte lässt sich am Schönsten anhand von Bildern und mithilfe der Menschen erzählen, die ich getroffen habe:
Freitag
Morgens auf dem Weg zur Arbeit begegnet mir an der Rochuskapelle ein schnaufender Mann mit einer riesigen Fototasche. Statt diesen Fotografen um ein Foto zu bitten fummel ich kurz darauf minutenlang mit dem Selbstauslöser rum.
Als ich anschließend zu spät zur Arbeit komme, schwöre ich für den Rest des Weges keinem Gespräch mehr aus dem Weg zu gehen.
Servus Würzburg
Ich verletze heute aufs Bösartigste die Kernzeit und mache ne Viertelstunde früher Schluss.
Auf dem Weg zur Tür treffe ich noch zwei Kollegen aus der Hotline, die wissen wollen was das mit dem Rucksack soll.
Jetzt hab ich sicher nen Ruf weg in der Hotline (-;
Servus Rimpar
Erst in der Dunkelheit spuckt mich der Gramschatzer Wald in Arnstein im Werntal aus.
Der Übernachtungsplatz am Friedhof Klohäuschen ist von der Straße einsehbar. Schon am Wegdösen, hält ein Auto und eine Frau fragt ganz besorgt ob es mir gut gehe. „Es ist doch so kalt!“ sagt sie.
Ich beruhige sie und bis ich mich aus meinen 3 Schichten gepoolt habe um einen Blick auf sie zu werfen ist sie schon vor der Kälte geflohen (oder vor mir).
Home Sweet Home
Samstag
Ein Traktor kommt irgendwo im Nirgendwo über die Kuppe. Der junge Fahrer ist neugierig und hält an.
Nachdem ich schon ne Stunde keine „WH“-Markierung mehr gesehen habe kann er mich zurück auf meinen Weg weisen.
Die kleine Tochter begleitet den Papa auf dem Radkasten.
Sie ist ziemlich dick angezogen und schaut mich mit großen Augen an (-;
Servus Arnstein
Es ist aber auch leicht den Weg zu verlieren, wenn alle Schilder so eingeschneit sind.
Eingeschneit
Im übernächsten Ort fragt mich eine Frau aus:
„Wollen sie jetzt wandern oder was, bei der Kälte?“
„Ja, ganz allein oder wie?“
„Allein ist doch net schön!“
„Ach, worüber wollen sie denn nachdenken?“
„Soso“
(ungläubiger Blick)
Eingeschneit
Kurz vorm Saaletal verliere ich schon wieder mein „WH“. Wie gerufen kommt auf einer Bundesstraße in der Ferne ein Wanderer auf mich zu, den kann ich fragen. In der Zwischenzeit schau ich auch mal auf meine Rhönkarte, die müsste hier bald anfangen.
Die Karte habe ich kaum ausgepackt, da ist der Wanderer schon bei mir und entpuppt sich als Mädel mit strammen Schritt. Sie weiß nix von einem „WH“ aber ihre Richtung passt mir gut.
Als Soldatin in Hammelburg und einzige Frau in ihrer Gruppe trainiert sie lieber ein bissl mehr für den Nijmwegen-Marsch im Juli.
An den Marsch musste ich lustigerweise heute schon einige Male denken. Unsere Bundeswehrausbilder sind da mitgelaufen.
50km pro Tag!
Mit 10kg Marschgepäck!
4 Tage lang!
Leider sehe ich bald rechts im Wald meine „WH“-Markierung.
Schon stecke ich wieder knöcheltief im Schnee, anstatt in netter Gesellschaft an der geräumten Straße zu laufen.
Schneeweg
Ein dicker Junge zeigt mir an seinem Rodelberg, wie gut er bremsen kann.
Ich bin von ganzem Herzen froh, daß er so gut bremsen kann!!
(Sonst wär ich jetzt Brei)
Die Sonne kann nix im Winter!
Ausgerechnet in Fuchsstadt spuckt mich der WH-Weg aus!
Das gibts doch nicht!
An der Kirche verlasse ich den Weg ein weiteres Mal, diesmal mit Absicht.
300m weiter klingel ich am Haus meiner Tante.
Onkel, Tante und die beiden Cousinchen empfangen mich, als wär ich ein Ehrengast.
Die beiden haben selbst genug Wander- und Campingerfahrung um mich net gleich für verrückt zu halten.
Ach tut das gut! (-;
Meine Lust nochmal draußen zu schlafen hält sich in Grenzen. Ich bin deswegen sehr, sehr froh, daß mich mein Onkel 16km weiter Richtung Rhön fährt.
So kann ich es heute noch schaffen bis zum Kreuzberg.
Lichstreifen
Ein Mann am Fuß der Platzer Kuppe dämpft meinen Kreuzberg-Optimismus aber was weiß der schon!
Er wohnt ja nur da (-;
Um 19:30 stehe ich vor dem Kissinger Haus am Feuerberg.
Ich habe das Würzburger Haus links liegen gelassen um Zeit zu sparen. Dafür wurde ich mit einer stundenlangen Quälerei bestraft durch knöchel- bis knietiefen Schnee.
Wäre ich mal lieber auf dem geräumten Winterwanderweg geblieben…
Knöcheltief
Eigentlich nehmen die Pächter vom Kissinger Haus im Winter keine Übernachtungsgäste, machen aber ne Ausnahme.
Es ist eine eiskalte, sternenklare Nacht und ich wäre sicher gstorben draußen!
Das Kissinger Haus entpuppt sich als Luxushotel. Sogar eine Zimmerdusche gibts!
Mit warmen heißem Wasser!
Sonntag
Unter den letzten Gästen am Abend waren die sehr, sehr lustigen Besitzer der Feuerberglifte.
Humor ist vermutlich oberste Voraussetzung für alle Rhöner Skiliftbetreiber (-;
Das Angebot der beiden mit dem Sessellift runterzufahren widerstrebt mir erst aber um 9 sitz ich dann
doch im ersten Sessel nach unten. Eigentlich genau mein Ding: Hochlaufen und runterliften.
Die frühen Vögel unter den Skifahrern kommen mir wie an einer Perlenkette aufgesteckt entgegen.
Liften
Endlich am Kloster Kreuzberg angekommen treffe ich den Besitzer des roten VW California Camping Busses, der einsam unten am Guckaipass steht. Dem armen Kerl ist in der Nacht das Gas ausgegangen. Bis zum Sonnenaufgang hat er gefroren bei -9°C.
Kein Wunder daß er nun auf Langlaufskiern vor mir steht, das wärmt sicher ordentlich auf.
„In Stangenroth haben sie nen Iglu gebaut“ meint er noch.
„In nem Iglu hats immer -3° Grad“ fällt mir ein.
„Das geht“ findet er.
Der Kerzenraum am Kloster
Von den Skifahrermassen am Dreitannenlift bis zum Neustädter Haus renne ich in Begleitung eines Ehepaares.
Beide sind Ende 50 und rennen desöfteren den Kreuzberg hoch und wieder runter um sich fit zu halten!
neblige Gipfelkreuze
In Wegfurt holt mich ein einsamer Mountainbiker aus Unsleben ein. Ich versuche ihn für das Rhönradwochenende der RSG zu gewinnen, das ich an Pfingsten organisieren mag.
Er ist schwer rumzukriegen, weil er schon von der RSG Würzburg gehört hat.
Angeblich sollen wir zu schnell fahren, so ein Schmarrn! (-;
Diese Begegnung freut mich sehr. In der Rhön habe ich noch nie zufällig andere Mountainbiker getroffen!
Geräumt für den Endspurt
Weiter Richtung Sondernau kommen mir ein Dutzend Faschingsjecken entgegen.
Sie sind auf dem Weg zu einem Umzug, vermutlich in Schönau.
Dies ist mit Abstand die humorloseste Begegnung der ganzen Wanderung.
Ich werde den Eindruck nicht los, daß Fasching eine toternste Angelegenheit ist!
Reyersbacher Gäule
Weil sich meine Ankunft bei der Oma in Bastheim langsam abschätzen lässt rufe ich meine Eltern an.
Sie wissen zwar, daß ich am Sonntag komme, aber nicht wann und erst recht nicht wie (-;
Statt wie geplant ein Treffen bei der Oma zum Kaffee rauszuschlagen werde ich eine halbe Stunde später in Reyersbach „abgefangen“, nur 2km von der Oma entfernt.
Endlich bin ich behütet und beschützt zurück unter der Käseglocke meiner Kindheit, damit mir bloß nix passieren kann…
Die Reisekamera für meine Fotos ist eine Canon Profikompakte*
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Jochen
26 Mai 2019sehr schöner inspirierender Bericht, werde morgen den Weg mit dem MTB fahren.
Linda
6 Mrz 2018richtig lustiger Artikel, toll geschrieben! Ich überlege auch in den nächsten Tagen mal von Würzburg aus in die Rhön zu wandern.
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Feini
1 Mrz 2009Die anderen haben alle keine Zeit dafür :-)
floc
28 Feb 2009Danke!
Wie lustig, daß das anscheinend nur die beiden Diplomarbeiter lesen (-;
Der LUPO
27 Feb 2009Hui, jetzt hab ich endlich Zeit gehabt, des zu lesen.
Sehr schön geschrieben und fotografiert, wuuuunderbar!
Ich hab’s zwar eigentlich scho immer gewusst, aber jetzt sieht’s ein Blinder mit Krückstock: die Sonne kann nix im Winter!
Der LUPO
22 Feb 2009Gut, dann hab ich ja morgen was zu lesen, wenn ich ne Arbeitspause brauch huhuhu
greg
21 Feb 2009Wär ja noch schöner wenn die beim Fasching Spaß haben, während ich Diplomarbeit mache.